Der
Pazifismus im Dienste des Imperialismus!
L.
D. TROTSKY
Nie gab es
auf der Welt so viele Pazifisten wie jetzt,
wo die Menschen auf allen großen Straßen
unseres Planeten einander
töten[1].
Jede historische
Epoche hat nicht nur ihre eigene Technik und eigene politische Formen, sondern
auch eine ihr nur eigene Heuchelei. Einst rotteten sich die Völker
gegenseitig aus im Namen der christlichen
Lehre von der Liebe zum Nächsten.
Jetzt rufen nur zurückgebliebene Regierungen Christ an. Die fortschrittlichen Nationen schneiden sich die Hälse ab im Namen des Pazifismus, WILSON zerrt
Amerika im Namen des Bundes der Völker und des ewigen Frieden in den Krieg herein. KERENSKY und ZERETELLI rufen zur Offensive - im "Namen des „schnellen Friedenschlusses“.
Unsere Epoche entbehrt einen JUVENAL, den entrüsteten
Satiriker.
Allerdings auch die mächtigsten satirischen Mittel laufen Gefahr sich
als ohnmächtig und schattenhaft im
Kampfe mit der triumphierenden
Niederträchtigkeit und kriechende Dummheit, zwei Elementen, die
den Krieg
entfesselten, zu erweisen.
Der Pazifismus ist von derselben historischen Herkunft wie
die Demokratie. Die Bourgeoisie machte einen großen historischen
Versuch, alle menschlichen Verhältnisse standesgemäß zu ordnen, die blinde und stumpfe
Tradition durch Anordnungen
des kritischen Denkens zu verdrängen. Die Zünfte mit ihrer Beengung der Produktion, die Stände
mit ihren Privilegien, der monarchische Absolutismus - alles waren traditionelle
Überbleibsel des Mittelaltertums.
Die bürgerliche Demokratie
verlangte eine Rechtsgleichheit für die freie Konkurrenz
und den Parlamentarismus als Mittel der Verwaltung der öffentlichen Angelegenheiten. Sie
versuchte auch die nationalen Verhältnisse
auf dieselbe Weise zu ordnen. Hier aber stieß sie
auf den Krieg, d.
h. auf eine solche Methode der Lösung aller Fragen, die nach ihr eine vollkommene Verneinung
der „Vernunft" ist. So fing sie an, den Völkern zu beweisen — in den Sprachen der Poesie, der Philosophie,
der Ethik und der Buchhaltung, — dass
es viel nützlicher für sie
ist, den ewigen Frieden einzuführen.
Das sind die logischen
Voraussetzungen des Pazifismus.
Seine Erbsünde war aber der grundsätzliche
Fehler, der die bürgerliche Demokratie
charakterisiert. Die Schneide ihrer Kritik gleitet nur auf der Oberfläche der sozialen Erscheinungen, hat nicht den Mut,
in die ökonomischen Unterlagen hineinzufahren. Die
kapitalistische Wirklichkeit aber behandelte die Idee des ewigen
Friedens auf
Grund der „vernünftigen"
Übereinstimmung, vielleicht
noch
unbarmherziger als die Idee
der Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit.
Eben der Kapitalismus, der die Technik
vernunftmäßig ausgestaltete, hat
die chronischen Verhältnisse
vernünftig nicht geregelt, er schaffte Waffen der
gegenseitigen Ausrottung, wie es nicht einmal im Traume das
„barbarische" Mittelaltertum
geahnt hat.
Die zunehmende Zuspitzung aller internationalen Verhältnisse und das
unaufhaltsame Wachstum des Militarismus
entzogen dem
Pazifismus vollkommen den Boden unter den Füßen. Aber gleichzeitig riefen ihn dieselben Kräfte unter unseren
Augen zum neuen Leben, das von dem alten
so verschieden war, wie verschieden der
blutigrote Sonnenuntergang von dem rosigen Sonnenaufgang ist.
Die
Jahrzehnte, die diesem Kriege vorausgingen, waren die Epoche des sogenannten „bewaffneten
Friedens". Die ganze Zeit war in
Wirklichkeit ein einziger ununterbrochener Krieg,
aber in den Kolonien.
Diese Kriege
spielten sich auf dem Territorium zurückgebliebener und schwacher Völker
ab, führten zu Verteilung von Afrika,
Polynesien und Asien und bereiteten den jetzigen Krieg vor. Da es aber
in Europa nach 1871 keinen Krieg gab, obwohl es eine ganze Reihe
scharfer Konflikte gegeben hatte, so gewähnte sich systematisch die öffentliche
Meinung des Kleinbürgertums in der
wachsenden Armee eine Garantie
des Friedens zusehen, die allmählich durch völkerrechtliche internationale Einrichtungen gekrönt würde.
Die kapitalistischen
Regierungen und die schwere Industrie hatten selbstverständlich an einer solchen
„pazifistischen" Deutung des Militarismus nichts auszusetzen. Dazwischen
häuften die Weltkonflikte
an und die Weltkatastrophe war. Theoretisch und politisch steht der Pazifismus
auf demselben Boden, wie die Lehre von der Harmonie der sozialen
Klasseninteressen.
Der Gegensatz zwischen den kapitalistischen
nationalen Staaten hat dieselbe ökonomische
Unterlage, wie der Klassengegensatz.
Wenn wir die Möglichkeit der allmählichen Abstumpfung der Klassengegensätze annehmen, so
müssen wir als
Folgerung die allmähliche Abstumpfung und Regulierung der
völkerrechtlichen Beziehungen annehmen.
Der Hort der demokratischen Ideologie, mit
all ihren Traditionen und Illusionen war das Kleinbürgertum. In der zweiten Hälfte
des 19. Jahrhunderts wurde er innerlich vollkommen umgearbeitet, aber von der Szene ist
er nicht verschwunden.
In derselben Zeit, wo die Entwicklung der kapitalistischen Technik seine ökonomische Rolle
für ewig untergrub,
haben ihm das allgemeine Wahlrecht und die allgemeine Wehrpflicht, dank
seiner Anzahl, einen Schein eines politischen Faktors gegeben.
Das
Großkapital hat das Kleinbürgertum, in wie weit es ihm noch den Atem ließ, durch das Kreditsystem vollkommen unterjocht. Den politischen Vertretern
des Großkapitals blieb nur übrig, es noch auf der politischen Arena zu unterjochen, indem sie den kleinbürgerlichen Theorien und Vorurteilen einen fiktiven
Kredit eröffneten. Das war die
Ursache der Erscheinung, die wir in den letzten 10 Jahren vor dem Kriege beobachteten, dass gleichzeitig mit der ungeheuren Anspannung der
reaktionär-imperialistischen Politik
auch das trügerische Aufblühen der bürgerlichen Demokratie mit ihrem Reformismus und Pazifismus stattfand. Das Kapital unterwarf das
Kleinbürgertum seinen imperialistischen Zielen mit Hilfe ihrer eigenen
Vorurteile.
Frankreich war vielleicht das
klassische Beispiel dieses
zweiseitigen Prozesses, Frankreich ist ein Land des Finanzkapitals, das sich auf ein am meisten
konservatives und sehr zahlreiches
Kleinbürgertum
in Stadt und Land stützt
Dank der ausländischen Anleihen, Kolonien und des Bündnisses mit Rußland und England wurden die Oberschichten der dritten
Republik in alle Interessen,
in alle Konflikte des Weltkapitals
hineingezerrt. Unterdessen bleibt der französische Kleinbürger ein Provinzmensch bis in das Knochenmark. Er verabscheut
instinktiv die Geographie, und sein Leben lang fürchtet er am meisten den Krieg
schon aus dem Grunde, dass er meistens nur
einen einzigen Sohn hat, der sein Geschäft samt seinen Möbeln erben soll. Diese
Kleinbürger schickt einen bürgerlichen Radikalen in das Parlament, der
ihm den Frieden zu schützen verspricht mit Hilfe, der „LIGA DER NATIONEN" einerseits und mit Hilfe der russischen Kosaken,
die den deutschen Kaiser am Schöpfe halten sollen, anderseits.
Der radikale
Abgeordnete aus dem Kreise der Provinzadvokaten kommt nach Paris, nicht nur
voll des pazifistischen Willens, sondern auch ohne klare Ahnung wo eigentlich
die Persische Bucht liegt und wem und wozu die Bagdadbahn nötig
ist.
Die
radikal-„pazifistischen" Abgeordneten schoben aus ihrer Mitte ein radikales Ministerium aus, das
auf der Stelle im Fangnetz aller früheren abgeschlossen diplomatischen und militärischen Verpflichtungen, aller Finanzinteressen
der französischen Börse in Russland, Afrika und Asien, bis über die Ohren
steckte. Das Ministerium und Parlament
hörten nicht auf, "alle pazifistischen Phrasen weiter abzuleiern
und gleichzeitig, ganz automatisch trieb es die Weltpolitik, die Frankreich endlich in den Krieg hineingetrieben hat.
Der englische und amerikanische Pazifismus verrichtet bei aller
Verschiedenheit der sozialen Bedingungen und der Ideologie (oder bei Ausbleiben jeder Ideologie, wie in Amerika)
wesentlich dieselbe Arbeit: er schafft einen Ausgang der Angst des Kleinbürgertums vor den Welterschütterungen,
in denen es nur den Rest seiner Selbständigkeit verlieren kann; er lullt seine Wachsamkeit ein, durch die furchtlosen
Ideen der Abrüstung, Völkerrechte und Schiedsgerichte, um sie dann im
entscheidenden Moment samt Haut und Haar dem
imperialistischen Kapital auszuliefern, das alle Mittel für seine Zwecke
mobil gemacht hat: die Technik, die Kunst, die Kirche, den bürgerlichen Pazifismus, wie den patriotischen „Sozialismus".
„Wir waren immer gegen den Krieg,
unsere Abgeordneten, unsere Minister waren gegen den Krieg" ruft der französische
Kleinbürger, „folglich hat man uns den Krieg aufgedrungen und im Namen der Verwirklichung unserer pazifistischen Ideale, müssen wir den Krieg bis zum
siegreichen Ende führen …" Und der Vorsitzende der französischen
Pazifisten, BARON D'ESTOURNEL DE CONSTANT heiligt diese pazifistische
Philosophie durch ein feierliches „jusqu’au bout"! : Krieg bis zum Ende!
Die englische Börse brauchte für die Kriegsführung in erster Linie Pazifisten, wie den
Liberalen ASQUIT und den radikalen Demagogen
LLOYD GEORGE. „Wenn diese Männer den
Krieg führen", sagte sich die englische Volksmasse, „dann ist das
Recht auf unserer Seite." Auf diese Weise wurde dem Pazifismus eine ihm entsprechende Rolle in dem Mechanismus
des Krieges, zusammen mit den Giftgasen und den sich türmenden Staatsanleihen, zugeteilt.
Noch krasser
zeigte sich der kleinbürgerliche Pazifismus
in seiner Rolle des Dieners des Imperialismus in den Vereinigten Staaten. Die wirkliche Politik machen da, noch mehr als nirgends wo anders, die
Banken und die Trusts. Noch vor dem Kriege bewegten sich die Vereinigten
Staaten, dank der ungeheuren Entwicklung der Industrie und des Exportes,
systematisch in der Richtung der Weltinteressen und des Imperialismus. Der
europäische Krieg gab dieser imperialistischen
Entwicklung ein fieberhaftes Tempo. In einem
Augenblick, wo viele gottselige Menschen (sogar KAUTSKY) hofften, dass die Schrecken der europäischen Schlächterei, die amerikanische Bourgeoisie mit Abscheu
gegenüber den Militarismus erfüllen werden, ging der wirkliche Einfluß der europäischen Geschehnisse nicht auf
psychologischen, sondern auf materiellen Wegen und führte zu vollkommen entgegengesetzten Resultaten.
Der Export der
Vereinigten Staaten, der 1913 die Summe
von 2 466 Millionen Dollar erreichte, stieg 1916 auf eine wahnwitzige Höhe von
5 481 Milliarden. Der Löwenanteil dieses Exportes fiel selbstverständlich der
Kriegsindustrie zu. Ein plötzliches Aufhörendes
Exportes nach den Ententeländer, mit dem der unbeschränkte
Unterseebootkrieg drohte, die Entente hat 1915 für 3,5 Milliarden amerikanische Waren importiert, nach Deutschland und Österreich-Ungarn wurde für kaum
1,5 Millionen exportiert, das bezeichnete nicht nur ein Versiegen der riesigen Profite, sondern bedrohte, mit
einer schweren Krise die gesamte amerikanische Industrie, die auf die
Kriegslieferung eingestellt wurde. In diesen Ziffern liegt der Schlüssel der
Verteilung der „Sympathie" in Amerika. So wandte sich das Kapital an den
Staat: „Du hast unter dem Banner des Pazifismus die Entwicklung der
Kriegsindustrie begünstigt, du bist verpflichtet, uns jetzt die Absatzmöglichkeiten zu verschaffen".
Wenn der Staat nicht imstande ist, gleich die „Freiheit der Meere" (d. h. die Freiheit,
aus dem europäischen Blute Kapital
herauszuschlagen) zu versprechen, so
kann er einen neuen Absatzmarkt für die bedrängte Kriegsindustrie eröffnen: in Amerika selbst. Auf
diese Weise führte die Bedienung der
europäischen Schlächterei zu einer plötzlichen, zu einer katastrophalen
Militarisierung der Vereinigten Staaten.
Diese Arbeit musste
auf die Opposition der breiten Volksmassen stoßen. Diese formlose Unzufriedenheit
zu überwinden,
sie in ein patriotisches Mitwirken zu verwandeln, war die
allerwichtigste innerpolitische Aufgabe
der Politik der Vereinigten Staaten. Das war eben die Ironie
des Schicksals, dass der
„offizielle" Pazifismus WILSONS - wie der „oppositionelle"
Pazifismus BRYANS, die wichtigsten
Mittel zur Lösung dieser
Aufgabe: die militärische Zähmung der
Masse, waren.
BRYAN beeilte sich, einen lärmenden Ausdruck dem natürlichen Abscheu
der Farmer und aller „kleiner
Leute" gegen Imperialismus,
Militarismus und Steuererhöhung zu geben. Aber gleichzeitig mit der Absendung ganzer Waggons von Petitionen und Deputationen seinem
„pazifistischen" Kollegen, der
an der Spitze des Staates stand, bemühte sich BRYAN nach allen Kräften die revolutionäre Spitze dieser
Bewegung abzubrechen. „Wenn aber die
Sache bis zum Kriege kommt", telegraphierte BRYAN, z. B. dem Meeting gegen den Krieg, das in Chicago im Februar stattfand, „so werden wir selbstverständlich die
Regierung unterstützen; aber bis zu diesem Moment ist es unsere heiligste
Pflicht, alles zu tun, was in unseren Kräften liegt um das Volk von den Schrecken des Krieges zu verhüten."
In diesen
paar Worten steckt das ganze Programm des kleinbürgerlichen
Pazifismus: „alles, was in unseren Kräften liegt, gegen den Krieg zu tun", heißt, ein Ventil der Volksentrüstung in Form von harmlosen Manifestationen
zu öffnen, indem man vorher der
Regierung die Garantie bietet, dass falls
es zum Kriege kommt, der Krieg auf keinen Widerstand der pazifistischen Opposition stoßen wird.
Das ist auch alles, was der offizielle Pazifismus verlangt, der, in der
Person WILSONS, schon genügende
Beweise seiner „Kampffähigkeit“
dem kriegführenden Kapital geliefert hat. Auf Grund der
Erklärung des Herrn BRYAN selbst, genügte es, um seine lärmende Opposition
gegen den Krieg beizulegen. nur eins
zu tun: den Krieg zu erklären.
Was Herr WILSON auch tat, Herr BRYAN beeilte sich, auf
die Seite der Regierung überzugehen. Und
das Kleinbürgertum, und nicht nur dieses
allein, auch die breitesten Arbeitermassen, sagen sich: Wenn unsere Regierung mit einem so weltbekannten
Pazifisten wie WILSON den Krieg
erklärt, und wenn BRYAN selbst die Regierung in der Kriegsfrage unterstützt,
dann ist das sicher ein ehrlicher und notwendiger Krieg … Das erklärt uns, weswegen dieser frömmlerisch-quäkerische
Pazifismus der Regierungsdemagogen
so hoch auf den finanziellen und kriegsindustriellen
Börsen notiert wird.
Unser menschewistisch-sozialrevolutionärer Pazifismus, bei der äußeren Verschiedenheit
der Bedingungen, spielt seinem Wesen nach genau dieselbe Rolle. Die
Resolution über den Krieg, die von
der Mehrheit des all-russischen Kongresses
aller Arbeiter- und Soldatendelegiertenräte angenommen wurde, geht nicht nur von der allgemeinen
pazifistischen Verurteilung des
Krieges, sondern auch aus seiner Charakteristik als eines imperialistischen Krieges aus. Den Kampf für die schnelle Beendigung des Krieges erklärt der
Kongress als „die erste und
wichtigste Aufgabe der revolutionären Demokratie". Aber alle diese Voraussetzungen sind nur zu einem einzigen Zwecke mobilisiert: solange aber die
internationalen Anstrengungen der
Demokratie dem Kriege noch kein Ende bereitet
haben, solange muß die russische revolutionäre Demokratie nach allen Kräften die Kampffähigkeit der
russischen Armee zur Defensive und zur Offensive
fördern . .
."
Die Revision der alten internationalen Verträge macht der Kongress
abhängig vom freiwilligen Einverständnis der Ententendiplomatie, die
doch ihrem Wesen nach den imperialistischen Charakter des Krieges nicht
liquidieren kann und nicht
liquidieren will. „Die internationalen Anstrengungen der Demokratie"
macht der Kongress, wie seine Führer, von dem Willen der Sozialpatrioten abhängig, die
doch verbunden und verkettet mit ihren imperialistischen Regierungen sind.
Indem sie also in
der Frage „der schnellsten Beendigung des Krieges" sich freiwillig in eine
Sackgasse ohne Ausgang hereintreibt, kommt dieselbe
Mehrheit des Kongresses in der Frage der praktischen Politik zu einem ganz
bestimmten Schlüsse:
zur Offensive. So ein „Pazifismus"', der das Kleinbürgertum sammelt
und es zur Unterstützung der Offensive bringt, wird selbstverständlich heiß begrüßt, nicht nur
von dem russischen, sondern auch von dem Ententeimperialismus.
MILIJUKOW sagt: „Im Namen der Treue zu den Alliierten und den alten (imperialistischen) Verträge ist die Offensive unentbehrlich."
KERENSKY und ZERETELLI sagen: „Obwohl die alten Verträge noch nicht revidiert
sind, ist die Offensive unentbehrlich.“
Die
Argumente sind verschieden, aber die Politik ist dieselbe. Und es kann auch
nicht anders sein, denn KERENSKY und ZERETELLI sind unzerreißbar in
der Regierung mit der Partei
MILJUKOWS verbunden, faktisch also steht der sozial patriotische
Pazifismus der DANS, wie der quäkerische Pazifismus des BRYANS im Dienste des
Imperialismus.
Aus diesem
Grunde besteht die wichtigste Aufgabe der russischen Diplomatie nicht darin,
die Ententediplomatie zu nötigen, irgendwas zu
revidieren, von irgendwas sich loszusprechen, sondern
sie zu überzeugen, dass die russische Revolution vollständig zuverlässig und —
kreditfähig ist.
Der
russische Gesandte BACHMETIEW hat auch in seiner Rede im Kongress der Vereinigten Staaten, am 10. Juni,
eben unter diesem Gesichtspunkte die
Tätigkeit der provisorischen Regierung
charakterisiert.
,,Alle diese
Begebnisse", sagte der Gesandte, „zeigen uns, dass die Macht
und Bedeutung der provisorischen Regierung mit jedem Tag wachsen, und je
weiter, desto mehr wird die Regierung fähig, allen Elementen der Zerrüttung,
die von der Reaktion oder von der extrem-linken Agitation kommen, den Garaus zu
machen. Die provisorische Regierung beschloß jetzt,
alle Mittel in dieser Richtung zu ergreifen, und wenn nötig, zur Gewalt zu greifen, obwohl sie immer zur friedlichen
Lösung der Fragen strebt."
Man soll
keinen Augenblick zweifeln, dass die „nationale Ehre" unserer Sozialpatrioten vollkommen
ruhig blieb, als der Gesandte der „revolutionären Demokratie“ der amerikanischen
Plutokratie eifrig bewies, dass die russische Regierung bereit ist, das Blut
der russischen Proletarier zu vergießen im Namen der „Ordnung", deren
wichtigster Bestandteil die Treue an die Ententekapitalisten ist.
Und in den
Stunden, wo Herr BACHMETIEW mit dem Hut in
der Hand und der demütigen
Rede auf den Lippen vor den
Hyänen der amerikanischen Börse stand,
setzten die Heeren ZERETELLI und KERENSKY
der „revolutionären Demokratie" auseinander, dass es unmöglich
sei, ohne Gewalt gegen die „Anarchie von
links" anzukämpfen, und drohten mit der Entwaffnung der Petrograder Arbeiter und der mit ihnen verbundenen
Regimenter. Wir sehen, dass diese Drohungen in dem entsprechenden Moment kamen:
sie waren die besten Fürsprecher für die russische Anleihe auf der
amerikanischen Börse.
„Sie hören es doch", kann Herr
BACHMETIEW dem Herrn WILSON sagen, „unser revolutionärer Pazifismus ist nicht
um ein Deut anders, als euer Börsenpazifismus, und wenn Sie Herrn BRYAN
glauben, weswegen sollen Sie denn dem Herrn ZERETELLI
nicht trauen."
Jetzt noch die letzte Frage: Wieviel
russisches Kanonenfutter und
russisches Blut auf der äußeren und innern Front ist nötig, "um die
russische Anleihe zu sichern, die ihrerseits unsere weitere Treue an die Entente sichern
wird?
[1] Cf. TROTSKY, L. D. Der Pazifismus im Dienste des Imperialismus !, in: Gegen den bürgerlichen Militarismus ! Gegen den Pazifismus ! Für die Bewaffnung des Proletariats, Schriftreihe Internationale Jugendbibliothek, Nr. 17, Berlin: Verlag Jungendinternationale - Junge Garde, S. 20ff.