KARL
MARX UND FRIEDRICH ENGELS ÜBER GERWEKSCHAFTEN UND STREIKS
Gewerksgenossenschaften.
Ihre Vergangenheit,
Gegenwart und Zukunft
KARL
MARX[1]
Konzeption
und Organisation,
Sammlung
und neue Veröffentlichung
Lo
Scaltro von Genua
A)
IHRE VERGANGENHEIT
Kapital ist konzentrierte gesellschaftliche Macht, während der Arbeiter
nur über seine individuelle Arbeitskraft verfügt.
Der Kontrakt zwischen Kapital und Arbeit kann deshalb
niemals auf gerechten Bedingungen beruhen, gerecht nicht einmal im Sinne einer
Gesellschaft, die das Eigentum an den materiellen Mitteln des Lebens und der
Arbeit der lebendigen Produktivkraft gegenüberstellt.
Die einzige gesellschaftliche Macht der Arbeiter ist ihre
Zahl.
Die Macht der Zahl wird jedoch durch Uneinigkeit
gebrochen.
Die Uneinigkeit der Arbeiter wird
erzeugt und erhalten durch ihre unvermeidliche Konkurrenz untereinander.
Gewerksgenossenschaften entstanden ursprünglich durch die
spontanen Versuche der Arbeiter, diese Konkurrenz zu beseitigen oder wenigstens
einzuschränken, um Kontraktbedingungen zu erzwingen, die sie wenigstens über
die Stellung bloßer Sklaven erheben würden.
Das unmittelbare Ziel der Gewerksgenossenschaften beschränkte sich daher
auf die Erfordernisse des Tages, auf Mittel zur Abwehr der ständigen Übergriffe
des Kapitals, mit einem Wort, auf Fragen des Lohns und der Arbeitszeit.
Diese Tätigkeit der Gewerksgenossenschaften ist nicht nur
rechtmäßig, sie ist notwendig.
Man kann ihrer nicht entraten, solange die heutige
Produktionsweise besteht.
Im Gegenteil, sie muss verallgemeinert werden durch die Gründung
und Zusammenfassung von Gewerksgenossenschaften in allen Ländern.
Auf der anderen Seite sind die Gewerksgenossenschaften,
ohne dass sie sich dessen bewusst werden, zu Organisationszentren der
Arbeiterklasse geworden, wie es die mittelalterlichen Munizipalitäten und
Gemeinden für das Bürgertum waren.
Wenn die Gewerksgenossenschaften notwendig sind für den Guerillakrieg
zwischen
Kapital und Arbeit, so sind sie noch weit wichtiger als organisierte
Kraft zur Beseitigung des Systems der Lohnarbeit selbst.
B)
IHRE GEGENWART
Die Gewerksgenossenschaften haben sich bisher zu ausschließlich
mit dem lokalen und unmittelbaren Kampf gegen das Kapital beschäftigt
und haben noch nicht völlig begriffen, welche Kraft sie im Kampf gegen das System der
Lohnsklaverei selbst darstellen. Sie haben sich deshalb zu fern von
allgemeinen und politischen Bewegungen gehalten.
In letzter Zeit scheinen sie jedoch zum Bewusstsein ihrer
großen historischen Mission zu erwachen, wie man schließen kann zum Beispiel
aus ihrer Beteiligung an der jüngsten politischen Bewegung in England, aus
der höheren
Auffassung ihrer Funktion in den Vereinigten Staaten und aus folgendem Beschluss
der großen Konferenz der Delegierten der Trade-Unions, die kürzlich in Sheffield
stattfand:
«Diese Konferenz würdigt voll und ganz die Anstrengungen
der Internationalen Assoziation, die Arbeiter aller Länder in einem gemeinsamen
Bruderbund zu vereinen, und empfiehlt den verschiedenen, hier vertretenen
Gesellschaften eindringlich, in diese Assoziation einzutreten, in der
Überzeugung, dass sie notwendig ist für den Fortschritt und das Gedeihen der
ganzen Arbeiterschaft.»[2]
C)
IHRE ZUKUNFT
Abgesehen von ihren ursprünglichen Zwecken müssen sie
jetzt lernen, bewusst als organisierende Zentren der Arbeiterklasse zu
handeln, im großen Interesse ihrer vollständigen Emanzipation.
Sie müssen jede soziale und politische Bewegung
unterstützen, die diese Richtung einschlägt.
Wenn sie sich selbst als Vorkämpfer und Vertreter der ganzen
Arbeiterklasse betrachten und danach handeln, muss es ihnen gelingen, die
Außenstehenden in ihre Reihen zu ziehen.
Sie müssen sich sorgfältig um die Interessen der am
schlechtesten bezahlten Gewerbe kümmern, z.B. der Landarbeiter, die durch
besonders ungünstige Umstände ohnmächtig sind.
Sie müssen die ganze Welt zur Überzeugung bringen, dass
ihre Bestrebungen, weit entfernt, begrenzte und selbstsüchtige zu sein, auf die
Emanzipation der unterdrückten Millionen gerichtet sind.
VERLAG DER SCHULE
FÜR AGITATOREN UND INSTRUKTOREN
“KOMMUNISTISCHE
REVOLUTIONÄRE UNIVERSITÄT J. M. SVERDLOV”
ZUR
MARXISTISCH-REVOLUTIONÄREN AUSBILDUNG, ORGANISATION UND FÜHRUNG
DES
PROLETARIATS UND DESSEN UNTERDRÜCKTE VERBÜNDENTEN
BUENOS AIRES
- MOSKAU - SÃO PAULO - GENUA – PARIS
[1] Siehe MARX,
KARL. Gewerksgenossenschaften. Ihre
Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Beschluss des Genfer Kongresses über die
Gewerkschaften (06.09.1866), in: Die Internationale in Deutschland (1864-1872).
Dokumente und Materialien, Berlin: Dietz Verlag, 1964, S. 142 ff.; IDEM. Instruktionen für die Delegierten
des provisorischen Zentralrats zu den einzelnen Fragen(08.1866), 6.:
Gewerksgenossenschaften. Ihre Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft, in: Marx
und Engels – Werke, Bd. 16, 1962, S. 196 ff.
Der Kongress der Internationalen
Arbeiterassoziation (I. Internationale) in Genf fand vom 3. bis 8.
September 1866 statt. An ihm nahmen 60 Delegierte aus England, Frankreich,
Deutschland und der Schweiz teil. Seine wichtigsten Beschlüsse beruhten auf den
von Marx
verfassten « Instruktionen für die Delegierten des provisorischen Zentralrats zu
den einzelnen Fragen », die auf dem Kongress als offizieller Bericht
des Zentralrats
verlesen wurde. Darin gab Marx vor allem eine klare
Orientierung für den ökonomischen Klassenkampf und zeigte die Notwendigkeit,
ihn mit dem politischen Kampf zu verbinden.
Die Proudhonisten hatten den «
Instruktionen » für alle Punkte der Tagsordnung ein eigenes Programm in
einer besonderen Denkschrift entgegengestellt. Dennoch nahm der Kongress sechs
der neun Punkte der von Marx verfassten « Instruktionen » als
Beschluss an : über die internationale Vereinigung der Anstrengungen im Kampf
zwischen Arbeit und Kapital mit Hilfe der Assoziation; über die
Gewerksgenossenschaften, ihre Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft; über die
Beschränkung des Arbeitstages; über die Arbeit von Jugendlichen und Kindern und
über die stehenden Heere. Die ersten fünf dieser Resolutionen bezeichnete Marx
als
« Bestandteil des Programms der Internationale ».
Der Genfer Kongress bestätigte die von Marx
ausgearbeiteten Statuten, nahm ein Organisationsreglement an und wählte den
Generalrat in seiner bisherigen Zusammensetzung.
Der Kongress schloss die Periode der Konstituierung
der Internationalen
Arbeiterassoziation (I. Internationale) als internationale
Massenorganisation des Proletariats ab.
[2] An der allgemein-demokratischen Bewegung für eine
Wahlrechtsreform
in England in den Jahren 1865 bis 1867, die unter Leitung der Reformliga
stand, nahmen die Trade Unions aktiven Anteil. Die Reformliga wurde am 23.
Februar 1865 auf Initiative und unter unmittelbarer Beteiligung des Zentralrats
der Internationalen Arbeiterassoziation (I. Internationale) gegründet.
Das Programm der von der Liga geleiteten Wahlreformbewegung und ihre Taktik
gegenüber den bürgerlichen Parteien wurden unter direktem Einfluss von Marx
ausgearbeitet, der eine selbständige, von diesen Parteien unabhängige Politik
der englischen Arbeiterklasse anstrebte. Auf Drängen von Marx wurde die
chartistische Losung des allgemeinen Wahlrechts wieder aufgegriffen,
die der Liga die Unterstützung der Trade Unions und vieler unorganisierter
Arbeiter sicherte. Infolge des Einflusses der bürgerlichen Radikalen in der
Leitung der Reformliga und Versöhnungsstrategie der opportunistischen
Führer der Trade Unions gelang es der englischen Bourgeoisie, die Bewegung zu
spalten. 1867 wurde ein Wahlreformgesetz angenommen, das nur
dem Kleinbürgentum und der Arbeiteraristokratie das Wahlrecht gewährt.
In den USA wurden die Trade Unions zu wichtigen Sammelpunkten der Arbeiterklasse. Sie unterstützen während des Amerikanischen Bürgerkrieges den Kampf der Nordstaaten gegen die Sklavenhalter. Auf dem Arbeiterkongress in Baltimore vom 20. bis 25. August 1866 forderten die amerikanischen Arbeiter u. a. die gesetzliche Regelung des Achtstundentages. Ihr erbitterter Kampf hatte im Juni 1868 Erfolg. Der Achtstundentag wurde in allen staatlichen Betrieben gesetzlich eingeführt.
Die Delegiertenkonferenz der englischen Trade
Unions in Sheffield fand vom 17. bis 21. Juli 1866 statt. Die
Hauptfrage ihrer Beratungen war der Kampf gegen die Aussperrungen. Die von Marx zitierte
Resolution ist veröffentlicht als Report of the Conference
of Trade’ Delegates of the United Kingdom, held in Sheffield, on July 17th,
1866, and Four Following Days (Bericht der Delegiertenkonferenz der Trade Unions
vom Vereinigten Königsreich, gehalten in Sheffield, am 17. Juli 1866 und in den
darauffolgenden vier Tagen), Sheffield, 1866.